August 2007


Unter Aufsicht von Dr. B. verabreichte ich mir am Freitag um 11 Uhr die ersten 500 µl einer 180 µg Interferon-Lösung. Spannende erste Stunden, doch nichts passierte während des leicht stressigen Nachmittags. Den frühen Abend verbrachte ich lesend, dann filmschauend, als sich gegen Ende des Filmes erste Anzeichen einer Reaktion auf die Injektion zeigten: Schüttelfrost, Kopfschmerzen, leichter Schwindel. Die ersten paar Minuten war ich erleichtert: zum Glück wirkt das Interferon. Von 21:30 an schlief ich praktisch fortwährend bis 11 Uhr des nächsten Tages, nach einem kurzen Frühstück dann weiter bis 18 Uhr. Die Symptome halten sich gut, dazugesellt hat sich Appetitlosigkeit. Inzwischen würde ich mir wünschen, dass das Interferon etwas stiller seinen Bestimmungen nachgeht; Schlafen ist zwar kein unangenehmer Zeitvertreib, aber es nimmt einem eine gewisse Mobilität, die im Alltag häufig von Nutzen ist.

– Bevor Dr. B. mir beim letzten Termin Blut abnahm, fragte sie, ob wir die HBV-DNA diesmal wieder mitmachen sollten, als ich zustimmte, ließ sie sich noch eine Phiole geben. Innerlich musste ich in diesem Moment den Kopf schütteln; als ich in einem normalen Laboratorium vor ein paar Monaten die PCR für den Nachweis der DNA machen lassen wollte, hieß es, der Test würde 130 € kosten (Materialkosten), die ich selbst bezahlen müsste; im Spital hingegen spielen diese Summen anscheinend keine Rolle. Und im Forschungs-Lab anscheinend noch viel weniger, wenn ich daran denke, wie viele (nicht-diagnostische) PCRs ich gemacht und verpfuscht habe, ohne dass irgendjemand gefragt hat, wie viel der kostbaren Enzyme und dNTPs ich verwendet habe.

– Im Kühlschrank, aus welchem Dr. B. eine Fertigspritze holte, um mir vorab die Nadellänge zu demonstrieren, strahlten mich an die 50 Packungen mit der schwarz-glänzenden Aufschrift „PegaSys“ an. Für Studienpatienten, wie sie mir sagte. Zigtausende Euros, die in diesem unscheinbaren Eiskasten auf ihre Bestimmung im Körper irgendeines Patienten warten…

Es ist gar nicht so einfach, ein Thermometer aufzutreiben, wenn man sich noch nie darum gekümmert hat, wo es so etwas gibt. Die beiden großen Elektrofachgeschäfte hatten nur Wetterstationen, die 4 besuchten Haushaltsgeschäfte zwar Außenthermometer, aber nur im 50-cm-Maßstab bzw. mit schlecht aufgedruckten oder verschobenen Temperaturskalen, die Verkäuferin bei dem rosa Drogeriemarkt lachte, als ich ausdrücklich nach einem Nicht-Fieber-Thermometer fragte, auch das gelb-blaue Elektrogeschäft hatte nur Digitales. Erst als ich zum Löwen tigerte, wurde ich fündig, dafür war die Auswahl ohnegleichen: Etwa 10 verschiedene Modelle der klassischen Thermometer standen neben digitalen Versionen zur Auswahl. Ich entschied mich für das kleinste, aus weißem, hässlichen Plastik, das robust genug aussah, um Kälte, widrige Kühlschrankumstände und Transport zu überleben – um 2,90 €. Warum brauche ich auf einmal ein Thermometer?

Manchmal kann es so schnell gehen – auf einmal wird aus einem „irgendwann im September fange ich mit der Therapie an“-Gedanken ein Countdown, der kaum kürzer sein kann. Denn der heutmorgendliche Besuch im Spital bei Dr. B. führte zwar nicht zu den erwarteten Biopsie-Ergebnissen, die anscheinend noch auf der anderen Station liegen, aber dafür zu einer Blutabnahme und einem Rezept für 4 Fertigspritzen PegaSys 180mcg (1 Monatsvorrat). Dazu bekam ich eine Startbox vom Medikamenten-Vertreiber Roche mit Alkoholtupfern und einer Nadel-Entsorgungsbox sowie einer Spritzanleitung, und außerdem eine Art Kühltasche; im Prinzip ein Schminktäschchen, das auf einer Seite mit einem (noch) flüssigen Kühlaggregat befüllt ist; Zweck: Transport von PegaSys-Spritzen, die stets gekühlt werden müssen (2-5°C).

Ob ich möchte, dass man mir zeigt, wie man spritzt? Natürlich, und Dr. B. trägt Freitag, den 31. August 2007, vor 12:30, als ersten Spritz-Tag ein. Danach heißt es jeden Freitag 52 Wochen lang abends 1x selber spritzen. Abends, damit die Nebenwirkungen dann erst auftauchen, wenn man schon schläft.

Freitag – das ist in 4 Tagen, d.h. … nur 3 Tage noch, … die ich ohne fremdes Interferon verlebe, … für ein Jahr … 3 Tage noch … ohne lästige Nebenwirkungen… 3 Tage noch… Gedanken kreisen und kreisen, und fallen schwindlig auf den Boden der Realität: mit dem Rezept führt mich mein Weg noch zum Chefarzt, der es genehmigen muss, so dass für mich keine Gebühren anfallen. Ein Stempel, dann sein Hinweis: dieses Medikament sei sehr, sehr teuer, ich solle mit den Spritzen aufpassen, dass ich keine verliere oder zerstöre, die Krankenkasse bezahle „nur“ die für ein Jahr erforderliche Menge an Spritzen. Ich frage neugierig: was heißt denn sehr, sehr teuer in Zahlen? – Und erfahre, was hinter dem „nur“ steckt. Der Besuch in der Apotheke zeigt es mir dann schwarz auf weiß:

Apotheker-Rechnung

Nein, nicht Schilling: Euro. Eintausenddreihundertneun Euro und neunzig Cent. Zwei 10er-Packungen Mexalen bekomme ich „gratis“ dazu.

Leichtes bis mittleres Stechen im Bereich unter der Punktionsstelle (Durchmesser ca. 5 cm) bei bestimmten Aktionen: Niesen, Husten, lautes Auflachen, schnelles Aufstehen, Umdrehen nach rechts hinten, ruckartige Bewegungen mit dem Oberkörper.

Allgemeinzustand: wohlauf.

Pläne: Abwarten.

Sie haben alle gelogen, dachte ich mir, als ich ein Nachthemd in die Hand gedrückt bekam und mir ein Bett zugewiesen wurde. Ich hatte mir basierend auf Internetberichten vorgestellt, dass ich mich auf eine Liege lege, das T-Shirt hochziehe, zwei Piekser (1x Betäubung, 1x Punktion) bekomme, ein paar Stunden liegen bleiben muss und dann wieder gehen kann. Es war ganz anders.

Um kurz vor 8 Uhr morgens war ich auf der Station. Erst als ich das Bett bekam, dünkte mir, dass die ganze Sache doch aufwändiger werden sollte; aufwändig für jemanden, der noch nie einen Tag im Krankenhaus verbracht hat. Am wenigsten mochte ich den Arzt, der mir den Schlauch in die Vene des linken Arztes spritzte und mich zustöpselte. Fühlt sich seltsam an, wenn man das Gefühl hat, dass eine kurze Drehung am Plastikventil mich ausbluten lassen könnte. Dann die Beruhigungstablette (standardmäßig), die ich (traditionell) nicht schlucken kann. EKG am Gang, weil kein Zimmer frei ist, die Passanten blicken neugierig auf den verkabelten Körper.

Die Punktion an sich, da muss ich meinen vielen Vorrednern im Netz Recht geben, ist wirklich keine große Sache. Zuerst wird ein sehr genauer Ultraschall des rechten Unterbauchbereichs gemacht, mit Luftanhalten und auf-die-Seite-Drehen. Danach wird mit einer orangen, alkoholhältigen Flüssigkeit der gesamte Bereich desinfiziert bzw. eingerieben, die restlichen Stellen mit den bekannten operationsgrünen Tüchern abgedeckt. Noch mal ein Ultraschall und schon schreitet der Spezialist zur ersten Spritze: lokale Betäubung. Wenn es anfängt, zu brennen, dann wirkt sie, sagt er. Es brennt nicht und ich will beginnen, etwas zu sagen. Er unterbricht mich und bittet darum, nicht zu sprechen. Spritzt noch einmal, denke ich im ersten Augenblick, bis ich eine halbe Sekunde später das Gefühl habe, er gräbt mit einer Schaufel in meinen Eingeweiden. Es tut eigentlich nicht wirklich weh, sondern fühlt sich nur seltsam und unangenehm an: wie eine dicke Stange, mit der im Bauch gerührt wird. Das Gefühl dauert nur kurz, 2 oder 3 Sekunden an, dann sagt er: fertig und zeigt mir das Werkzeug, mit dem er punktiert hat. Er löst die Leberprobe aus der Nadel heraus, legt sie auf Fixiermaterial eröffnet mir den Vorteil einer lokalen Betäubung: ich darf einen Blick auf ein Stück meiner Leber werfen – ein rötlicher und leicht glänzender Zylinder mit 0,95 mm Durchmesser und 2 cm Länge.

Den Rest des Krankenhaustages – 5 Stunden – verbringe ich liegend, mich möglichst wenig bewegend, damit der Blutdruck nicht steigt und es aus einer inneren Verletzung hinausblutet. Es gibt ein mildes, gutes Mittagessen bestehend aus einer Suppe mit Einlage, Wurzelgemüse und gekochtem Rindfleisch sowie geriebenem Apfel und einem hellen Sandkuchen. Mein Begleiter, der so gut wie alle erlaubten Stunden an meiner Seite verbracht hat, peppt das Mittagessen mit einem Apfel, gespritztem Apfelsaft, Kakao und einer Milchschnitte auf. Am Ende des Tages erlaubt eine letzte Ultraschallkontrolle, dass ich nachhause gehe und endlich kommt auch der Schlauch aus mir hinaus.

Fazit: In meiner Vorstellung zuvor war die Punktion schmerzhafter abgelaufen, ich hatte einen richtigen, tiefen Stich in den Bauch erwartet. Wenn ich das übliche Krankenhausprozedere bereits gekannt hätte, wäre es tatsächlich kein sehr aufregender Tag gewesen, da der Eingriff an sich sehr schnell, komplikationslos und kaum schmerzerregend erfolgt ist.

Am Tag vor der Punktion stellt sich doch ein leicht mulmiges Gefühl in der Bauchgegend ein. Weiche, glatte Haut wird morgen durchlöchert sein, mit einem Werkzeug, das deutlich mehr als Porendurchmesser hat. Der Assistent, der mir heute etwas ungeschickt (keine Ader erwischt, etwas unter der Haut herumgestöbert) das Blut abnahm, meinte, ich würde keinen Stich spüren, sondern eher, als ob mich jemand stark von vorne schubst, mir gegen die Brust stößt. Ah, sie werden morgen bei uns aufgenommen, sagte die Krankenschwester bei der Begrüßung. Wie das klingt. Als ob ich ins Krankenhaus komme für längere Zeit. Als ob ich krank wäre. Nach der Blutabnahme möchte ich auf einmal morgen doch alleine hingehen, lieber alleine sein, wenn das noch Unbekannte passiert. Ich brauche niemanden, der mir nachher beim Ächzen zusieht, sobald die Betäubungsspritze aufhört zu wirken. „Der Schmerz strahlt in die rechte Schulter aus“ – noch eine zusätzliche post-operative Erfahrung. Warum spürt man den Schmerz nicht dort, wo er herkommt?
Keine Mahlzeit nach 20 Uhr, morgen nüchtern & pünktlich auftauchen.