Januar 2009


6,5 mm breit und 18 mm lang sind die weißlichen Sebivo-Tabletten mit der einseitigen Aufschrift „LDT“, von denen ich heute die erste schluckte (mit Schwierigkeiten, denn ich habe keine Übung mit Tabletten oder Pillen). „LDT“ steht übrigens eigentlich für „LdT“ und nach etwas Suchen findet man heraus, dass dies die Abkürzung für L-Desoxythymidin ist, also ein Thymidin in der L-Konformation (L = links), das sich ebenfalls, wie die natürlich vorkommende D-Konformation, in die DNA einbauen lässt. Auf dieser Seite findet man sogar noch viel mehr Synonyme für Telbivudin:

Synonyms: 2′-Deoxy-L-thymidine; Beta-l-thymidine; Epavudine; L-DT; LDT; Telbivudin; L-deoxythymidine; L-thymidine

Übrigens eine ganz tolle Seite für Chemiker oder auch Molekularbiologen; unter anderem kann man sich nämlich die DNA-Sequenz des Proteins runterladen, das von Telbivudin blockiert wird (P Protein, DNA Polymerase mit Reverse-Transkriptase-Aktivität).

Willkommen in meiner Welt, Sebivo.

Ein kurzes Profil:

  • »Telbivudin« ist ein oral anwendbares Nukleosidanalogon, welches selektiv und potent die Hepatitis B Virus-Vermehrung stoppt.
  • Sebivo® kommt bei der chronischen Hepatitis B mit kompensierter Lebererkrankung und Zeichen der Virusvermehrung mit einer Standarddosis 1 Filmtablette täglich mit/ohne Nahrung zum Einsatz (Medikament wird von Novartis unter dem Markennamen Sebivo vertrieben, Anm.).
  • Sebivo® zeigt dabei größere antivirale Effektivität als »Lamivudin« bzw. »Adefovir«. Die Versagerquote und Mutationshäufigkeit unter Sebivo® war bisher niedriger als unter Vergleichpräparaten.
  • Das Wechselwirkungsrisiko ist marginal und die Nebenwirkungen sind tolerierbar. Die Therapiedauer und Anwendbarkeit von Sebivo® bei bestehender Resistenz gegen »Lamivudin« und »Adefovir« ist derzeit noch unklar.

Quelle dieser Zeilen und mehr Infos hier.

Außerdem finde ich ebenfalls auf dieser Seite (der österreichischen Apotheker-Zeitung) die Bestätigung, dass Baraclude tatsächlich in Österreich verfügbar ist:

Derzeit sind in Europa 4 Medikamente gegen chronische Hepatitis B zugelassen:
Der rekombinante Immunmodulator alfa-Interferon ist nur parenteral verfügbar und zeigt ein vielfältiges Nebenwirkungsspektrum. Die Hbe-Serokonversionsrate liegt bei etwa 25%.
»Adefovir« (Hepsera®-Tabl.), »Lamivudin« (Zeffix®-Filmtabl.) und »Entecavir« (Baraclude®-Filmtabl.) sind Nukleosid-/Nukleotid-Analoga.

Als die Tabletten auf den Markt kamen, waren sie noch deutlich teurer:

Sebivo® 600 mg-Filmtabletten kamen im Juni 2007 auf den Markt, kosten in der Monatspackung zu 28 Stück 736,80 Euro (AVP) und befinden sich derzeit in der »Red-box«.

AVP = Arzneiverordnung in der Praxis. Bei meinem Apotheker kostet eine Monatspackung (28 Stück) derzeit 573 €. Es gibt übrigens auch, anders als der Apotheker behauptete, doch zumindest theoretisch eine 96-Tabletten-Packung.

Wer nicht weiß, was die „Red-Box“ ist, kann sich hier (zumindest ein bisschen) schlau machen: Gesundheitssysteme im Wandel (pdf). Auf Seite 194 dieses 282-Seiten-Dokuments kann man eine Abbildung erkennen, die die Markt- und Preisregulierungen von Arzneimitteln erklärt. Zur Red-Box erhält man die Information:

– Arzneispezialität verbleibt max. 24 Monate ab ermittelten EU-Ø Preis

– Arzneispezialität verbleibt max. 36 Monate, wenn kein EU-Ø Preis

Und dann gibt es noch die Green Box (frei verschreibbare Arzneimittel, keine Chefarztpflicht, unter dem EU-Durchschnitts(?)-Preis), die Light-Yellow und Yellow-Box sowie die No-Box. Ganz klar ist mir das nicht…

Wer sich für Wirkungsweise, Pharmakokinetik usw. interessiert, soll einfach sich den oben schon verlinkten Apotheker-Zeitungs-Artikel anschauen.

Zur Dosierung:

Eine Filmtablette zu 600 mg täglich mit/ohne Nahrung. Die Behandlungsdauer richtet sich nach dem virologischen Befund und soll bis zur Serokonversion von HbeAg oder HbsAg bzw. bis zum Verlust der Wirkung weiter geführt werden.

Interessant fand ich auch folgendes:

Nur 15% der Patienten in der Schlüsselstudie waren Kaukasier. Da sie im Vergleich zu Asiaten von den Nebenwirkungen deutlich stärker betroffen waren, wird derzeit die Sachlage im Rahmen einer eigenen Studie detailliert überprüft

Ein Vergleich der fünf gängigen Medikamente (Interferon miteingeschlossen) bezüglich der Therapiedauer, Wirksamkeit, Nebenwirkungen kann hier eingesehen werden (engl., Internal Medicine World Report). Zu Telbivudin und Schwangerschaft konnte ich noch nicht viel anderes finden, als was ich bisher schon wusste, hier noch eine englische Warnung, auch in Hinblick auf Stillen. Und zu guter Letzt gibt es den bereits versprochenen Link zur EMEA-Seite von Sebivo (pdf) inklusive zahlreicher Infos auch zu den durchgeführten Studien. Sehr empfehlen kann ich, was generelle Infos über Hepatitis B, aber auch Telbivudin betrifft, ebenso wie EMEA diese Seite von Springer.

Zum Schluss noch ein paar Photos oder Fotos:

Auf Wiedersehen, Interferon/Pegasys, leider hast du mir nichts gebracht außer schlechte Blutwerte …

Pegasys

… und grüß‘ dich, Telbivudin/Sebivo, welches du mich zumindest die nächsten paar Jahre meines Lebens begleiten wirst (wie dramatisch dieser Satz klingt, wenn man gleichzeitig Ri_chard Str_auss‘ letzte Lieder hört …).

Sebivo, Telbivudin

Die Blutwerte vom 15.12. zeigen, dass die Nachwirkungen vom Interferon anscheinend immer noch anhalten:

Hämatokrit 36,9 % (38-44)

Leukozyten 2,91 G/l (4-10)

Neutrophile 0,93 G/l (1,90 – 8)

Leberwerte sind ähnlich dem letzten Mal:

AST (GOT) 43 U/l (< 31)

ALT (GPT) 58 U/l (<34)

HBV-DNA quant. sieht so aus:

7,7 Mio. U/ml

Wobei ich mich über zwei Dinge wundere:

1) scheint es da keine Vereinheitlichung zu geben bezüglich der signifikanten Stellen. Denn einmal heißt es „24.900“ und einmal nur sehr ungenau „7,7 Mio.“. Wenn ich ersteres so schreiben würde wie zweiteres, sähe das so aus: „0,0 Mio.“ oder „0,02 Mio.“

2) Ja, am Befund steht das erste Mal seit ich im Spital bin tatsächlich „U/ml“ als Einheit für den Virustiter – was ich noch nie gesehen habe. Normalerweise steht dort IU/ml, also international units per ml – eine von der WHO standardisierte Einheit. U/ml wäre der Standard für Enzymaktivitäten wie z.B. der Leberenzyme AST und ALT. Eine Suche im Internet zerstreut dann die Bedenken: offenbar ist es nur die alte Bezeichnung und U/ml = IU/ml, kein Unterschied.

Angehängt habe ich den aktualisierten Verlauf der Blutwerte und HBV-DNA.

Blutwerte

Leberwerte

Virustiter HBV-DNA

Die Befundbesprechung wurde aus mir unerfindlichen Gründen vom 12.01.09 auf den 20.01.09 verschoben. Als erster drangekommen sprach ich diesmal bei wieder einer neuen Ärztin vor, Dr. M. Unerbittlich kam sie gleich in ihrem ersten Satz zur Sache: mein Virentiter sei wieder rasant angestiegen auf 7,7 Millionen IU/ml, was etwa der Menge Viren entspricht, die ich vor der Therapie hatte (7 Mio.). Demnach käme für mich nun als nächstes eine Therapie mit Sebivo, mit Tabletten, die Nukleosidanaloga enthalten, in Frage. Und nein, überlegen bräuchte ich mir da nichts, denn wenn ich die Tabletten nicht nehmen würde, hätte ich in 10 Jahren eine Leberzirrhose, meinte sie resolut und überzeugt. Also lieber eine Dauertherapie mit diesen Tabletten, vorerst mal auf 5 Jahre, vermutlich aber lebenslang.

Und warum gerade Sebivo (Wirkstoff: Telbivudin)? – Weil er am wenigsten Resistenzen aufweisen würde und auch Nebenwirkungen. – Und warum nicht Baraclude? – Baraclude sei in Österreich nicht zugelassen. Das war eine gültige Antwort für mich.

Eben finde ich in der Suchmaschine das hier:

Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen
Bereich PharmMed, www.ages.at Wien, 14. 3. 2006
Information des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen über Maßnahmen zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit
Baraclude® – wichtiger Hinweis
Baraclude® 0,5mg Filmtabletten;
Zulassungsnummer: EU/01/343/001.003
Baraclude® 1mg Filmtabletten;
Zulassungsnummer: EU/01/343/002.004
Baraclude® 0,05mg/ml Lösung zum Einnehmen;
Zulassungsnummer: EU/01/343/005; Zulassungsinhaber: Bristol Myers Squibb; wirksamer Bestandteil: Entecavir; wichtiger Hinweis zum Auftreten einer HIV Resistenzmutante bei der Behandlung ­einer chronischen Hepatitis B bei HBV/HIV koinfizierten Patienten ohne gleichzeitige antiretrovirale Therapie
Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen teilt mit:
Baraclude® ist indiziert zur Behandlung der chronischen Hepatitis B-Virus-Infektion (HBV) bei Erwachsenen mit kompensierter Leber­erkrankung und nachgewiesener aktiver Virusreplikation, persistierend erhöhten Serumspiegeln der Alaninaminotransferase (ALT) ­sowie mit einem histologischen Befund einer aktiven Entzündung und/oder Fibrose

Quelle: http://www.oeaz.at/zeitung/3aktuell/2007/07/mitt/mitt07_2007beh.html

Von wegen nicht zugelassen. Falls es jemanden interessiert: es gibt von der EMEA (European Medicine Agency) ein schönes Dokument mit vielen, vielen Infos zu Baraclude. Gibt es übrigens für alle zugelassenen Nukleosid- und Nukleotidanaloga, ich werde diese bei Gelegenheit verlinken.

Ich äußerte noch einen Zweifel: was, wenn ich ins Ausland gehen würde, nicht mehr in Österreich versichert wäre, wer bezahlt dann hunderte Euro pro Monat für die 28 Tabletten-Packung? Alles kein Problem, meinte sie, in anderen Ländern gäbe es ja auch Versicherungen und das Medikament würde weltweit vertrieben. Und wenn dieses andere Land, sagen wir mal, Benin wäre, ohne Versicherung und westliche Krankenversorgungsstandards? Na dann… irgendwie werden wir eine Lösung finden, falls es dazu kommen sollte, keine Sorge, tröstete sie mich und schrieb das Rezept fertig.

Ich äußerte weitere Zweifel: und wenn ich schwanger werden möchte? Werden dann die Tabletten abgesetzt? – Keinesfalls, denn sobald man absetzen würde, könnte es zu einem „Flare“ kommen, also zu einem Rückfall bzw. Anstieg der Virenmenge, der womöglich über den ursprünglichen Titerwert hinaufsteigen könnte, alles viel zu gefährlich. Und das Kind (ich musste ihr alles aus der Nase ziehen)? – Tja, das Kind. Dazu gäbe es leider noch keine Studien; aber keine Sorge, jene Frauen, die bisher mit dem Medikament schwanger wurden, bekamen nur gesunde Kinder ohne Fehlbildungen. Wie tröstlich.

Als ich auch heute – testweise – die Frage zur Verhütung stellte, erhielt ich die dritte Antwortvariation zu diesem Thema. Ein Auszug aus der Vergangenheit: Nr. 1: keine Pille (da sie vom Magen direkt in die Leber geht und somit belastet), lieber systemisch verteilte Hormone, z.B. über das Pflaster. Habe ich probiert, leider zu viele Nebenwirkungen bei mir. Antwort Nr 2: leichte Pille geht, aber wirklich nur leicht. Und seit heute, Antwortvariation Nr. 3: ich könne nämlich jede Pille nehmen, das hätte überhaupt keine Auswirkungen auf den Leberzustand.

Abschließend wurde mir noch Blut abgenommen, um einen Anfangs-Virustiter für die Therapie zu messen. Interessanterweise wird diesmal auch der Genotyp bestimmt, weil „die Firma das nun bezahlt“, was immer diese Antwort heißen soll. Teurer Check, der vom Krankenhaus nicht bezahlt wird, wenn man aber das Medikament einer Firma nimmt, freuen die sich über zusätzliches Studienmaterial und sponsern dann auch die für eine Studie notwendige Genotypbestimmung? Wahrscheinlich bilde ich es mir nur ein. Jedenfalls habe ich wahrscheinlich Genotyp A. Auf meine Nachfrage, ob die Genotypen nicht regional bedingt seien und ich dann vermutlich einen asiatischen hätte, da der Virus von meiner asiatischen Mutter übertragen wurde, meinte sie: ja, regional, und das wäre Genotyp A. Wenn man allerdings dieser Tabelle (runterscrollen) mehr Glauben schenken möchte als meiner heutigen Ärztin, so kommt Genotyp A hauptsächlich in Nordamerika, Nordeuropa und Südafrika vor, aber nicht in Südostasien – das wäre Genotyp B/C. Ich bin schon gespannt auf das Ergebnis.

Mit dem Rezept ging es dann zur – neuen – Chefärztin der Krankenkasse, die es bewilligen sollte. Der Raum war umgestaltet worden: von einem trockenen Beamtenzimmer zu einem bunten Wohnraum. Am Schrank hing ein Poster über Katzen und Literatur; am Schreibtisch stand eine Salz(?)-Kerze, die rosa Licht verbreitete, sowie ein Stövchen mit einer Kanne und einer Jumbo-Tasse Tee. Neben dem Computer etwas ganz Interessantes: etwa 6-8 verschiedene kleine Plastikschachteln, die jeweils mit Hämatit (Blutstein), Quarz, Rosenquarz oder anderen Mineralen gefüllt war. Und ein großer, durchsichtiger, leerer Topf. Während ich noch grübelnd überlegte, mit was für einer Person ich es zu tun haben würde, die auf die Kraft der Steine vertraut, trat eine schick angezogene Frau im mittleren Alter ein (Reiterstiefel, breiter Ledergürtel), begrüßte mich und warf einen Stein in den Topf. Ich staunte nicht schlecht und muss wohl irritiert genug gewirkt haben, dass sie erklärend meinte: Statistik. Ich nickte und sie erläuterte weiter: ich mag Stricherl malen nicht, muss aber trotzdem dokumentieren, welche und wie viele Fälle in mein Büro kommen. Kreativ.

Das Rezept ist nun bei einem Apotheker und das Medikament wird bestellt. Wann fange ich mit dem Tablettennehmen an? Wahrscheinlich morgen, oder übermorgen.

Erste Kontrolle für die Tablettentherapie am 19.02.09.