September 2007


Samstag, kurz vor Mitternacht, 135 µg. Die Nacht wurde gut durchschlafen, am nächsten Morgen allerdings das Gegenteil gefühlt. Soweit keine Beschwerden.

Samstag, 17 Uhr. Brav bis zur 135er Marke weggespritzt, dann injiziert. Wieder kein Bluterguss, bisher keine fühlbaren Nebenwirkungen. So soll es bleiben.

PS: 1-Monats-Jubiläum. Nur noch 48x.

Seit etwa drei Monaten weiß ich, dass wir in der Arbeit zu elft oder zwölft im Oktober für ein paar Tage nach Istanbul reisen werden; aus beruflichen und auch aus freizeitlichen Gründen. Da der Aufenthalt von Mittwoch bis Freitag stattfinden würde, war die ursprüngliche Idee, eine Spritze mitzunehmen, was allerdings durch die erforderliche Kühlung zu einigen logistischen Problemen führen würde. Die Fluggesellschaft war nach Kontaktaufnahme äußert entgegenkommend und hilfsbereit, aber dennoch stellt sich die Frage, wie sich mehrere Stunden lang eine Temperatur von unter 10°C in meiner Tasche erhalten lassen. Schließlich wurde der einfachere Weg gewählt: ein Verschieben des Spritztages von Freitagabend auf Sonntagabend, natürlich tageweise. Das bedeutet: heute nicht, erst morgen.

Zuerst schien alles in Ordnung zu sein: Grüß Gott, wie geht’s. Ich erzählte, dass ich seit der letzten Spritze jeden Morgen bis Mittag Kopfschmerzen habe, nachmittags immer unangemessen müde bin. Sie nickte und bat mich, den Oberarm freizumachen. Ich fragte, was denn eigentlich los wäre, warum ich diese Woche schon kommen sollte, ob das Interferon angeschlagen habe. Sie lachte verlegen auf und meinte, ja, das Interferon habe in der Tat sehr zugeschlagen:

Leukozytenzahl 1.89 G/l (4.0-10.0)

Neutrophile 0.50 G/l (1.9-8.0)

Thrombozytenzahl 118 G/l (150-360)

In Klammern ist jeweils der Referenzbereich angegeben.

Zum Vergleich die Werte von der letzten Kontrolle, noch ohne Interferon:

Leukozytenzahl 4.48 G/l (4.0-10.0)

Neutrophile 2.78 G/l (1.9-8.0)

Thrombozytenzahl 204 G/l (150-360)

Um mir die spitalsreife Lungenentzündung innerhalb der nächsten beiden Wochen zu ersparen, sollte heute eine weitere Kontrolle gemacht werden. Für den Fall, dass die Blutwerte wieder so tief sind, sollte ich etwa ein Drittel des Spritzeninhaltes vorher wegspritzen, dann erst injizieren, was etwa 135 µg Interferon entsprechen würden.

Etwa 1h später gibt es schon die neuen Blutwerte und eine Aufforderung an mich per Kurznachricht:

Liebe Fr XXX – bitte spritzen sie nur 135 ug heute u in 1 Woche – ko in 2 wochen, 5.10. Lg, dr b.

Das Spital hat angerufen, als ich in der Arbeit war. Man muss wissen, dass ich im Lab an wenig anderes denke als an die Arbeit, an Publikationen, Protokolle und an das Geschehen im Haus. Schon gar nicht an Therapie, Hepatitis B oder ähnliche Themen.

„Grüß Gott Frau xxx, hier spricht yyy“ ruft eine freundliche Damenstimme in mein Ohr.

Wie bitte? Wer? Was? Die arme Schwester S. muss sich zwei Mal wiederholen, ehe ich verstehe, dass das Spital am Telephon ist.

„Kommen Sie bitte diesen Freitag ins Krankenhaus. Wir müssen eine Blutabnahme machen.“

Keine weiteren Infos. Was ist los? Doch nicht in 2 Wochen? Sind die Werte anders als erwartet? Warum wollen sie noch einmal anzapfen? Ich darf gespannt sein.

Morgens: Kontroll-Blutabnahme. Ich hatte nach der Punktion einen Brief erhalten: die Struktur der Leberzellen sei blabla… Fibrosegrad II … blub … und meine Diagnose sei: Hepatitis C. Zwecks Nachfrage und Korrektur drückte ich Dr. B. heute den Brief in die Hand; sie lachte, nahm einen Kugelschreiber und ersetzte das C mit einem B. Ein Versehen, hoppala. Bezüglich des Blutergusses war sie diesmal der Meinung, dass auch kein blauer Fleck möglich ist und kein Grund zur Sorge. Nächstes Rezept, auf Wiedersehen in 2 Wochen.

Abends: die dritte Spritze. Ziemlich bald auftretende Kopfschmerzen, leichter Schwindel. Samstag etwas neben mir stehend, aber mit Sonntag legte sich das meiste, selbst die sportliche Betätigung abends zeigt keine unangenehmen Auswirkungen. Sieht ja ganz gut aus.

Die zweite kam in den Genuss, von mir selbst gespritzt zu werden.

Angeblich taucht nach jeder Spritze ein kleiner Bluterguss an der Einstichstelle auf, der sich etwas vergrößert und die Ausbreitung des Wirkstoffes darstellt – laut ärztlicher Auskunft. Ich hoffe, die Beunruhigung durch das Mangeln eines solchen Blutergusses bei der zweiten Spritze, die ich mir selbst ansetzte, am folgenden Freitag klären zu können. Kein Fleck = kein Wirkstoff unter die Haut? Das könnte erklären, warum die NW eher schmächtiger ausfielen – 12h Schlaf, danach nur wenig Fieber & Kopfschmerzen, etwas matt, übliche Gelenksschmerzen. Spannende Frage ist wohl, wie spritzt man fleckig und wie fleckenfrei?

Nach 6 Tagen würde ich gerne eine kleine Übersicht über das Erfahrene geben.

Freitag / Samstag: Fieber, Kopfschmerzen, Schüttelfrost, Müdigkeit – Bett.

Sonntag: immer wieder leichte Kopfschmerzen in unterschiedlichen Bereichen.

Montag: nachmittags und abends Übelkeit & Schwindel, die ich aber nicht eindeutig dem Interferon zuordnen kann.

Dienstag: siehe Montag, aber etwas besser.

Mittwoch, Donnerstag: Übelkeit; leichte Schmerzen an den Sehnen und Gelenken der Arme und Hände. Fühlt sich ein bisschen so an, als hätte ich mir den Ellbogen an einer harten Fläche angeschlagen.

Den Juckreiz, der mich alle Tage lang immer wieder begleitete, kann ich ebenfalls nicht eindeutig dem Interferon zuordnen. Luftfeuchtigkeit könnte zu niedrig sein, oder die neue Umgebung des Arbeitsplatzes führt dazu, dass sich alles immer etwas trockener anfühlt und damit empfindlicher ist – sprich abwarten und beobachten.

Alles in allem war es aber ok, denn bis auf die Zeile mit dem Bett war ich mobil und unterwegs.

So sieht eine Nadel-Entsorgungsbox aus:

Box

Bei Drücken auf den roten Knopf rechts öffnet sich mechanisch das Loch und eine Kanüle kann in die Plastik-Box eingeworfen werden; der Rest der Spritze kommt in den Hausmüll.

So sieht die Interferon-Verpackung aus:

Verpackung

So sehen die Spritzen aus:

Spritzen

4 Stück pro Packung, sollten für einen Monat reichen. Kanülen werden extra in einer Schutzverpackung aufbewahrt und kurz vorher draufgesteckt. Die Injektionsnadel an sich ist dann nur 1-2 cm lang.

Die medizinische Terminologie kennt „Pegasys“ als einen pharmazeutischen Begriff bzw. als den Produktnamen von Roche für das Peginterferon alpha 2a.

Die Vorsilbe „Peg-“ weist auf die Besonderheit dieses Interferons hin: es ist pegyliert, d.h. am Interferon wurden mehrere Exemplare von einem Molekül namens „PEG“ (Polyethylenglykol) angehängt, um die Lebensdauer zu erhöhen. Eine höhere Lebensdauer des Interferons bedeutet, dass man das pegylierte Interferon (Peginterferon alpha 2a) nur einmal die Woche spritzen muss statt drei Mal wie früher, weil es mit den PEGs dran langsamer vom Körper abgebaut wird.

Ich hätte nicht erwartet, dass Roche mit seiner Benennung bzw. dem Logo des Medikaments noch eine weitere Verbindung knüpft:

PegaSys

Auf dem Bild oben erkennt man auf der Starter-Box sowie auf der Patienteninformation eindeutig einen geflügelten Schimmel. Auch auf der Kühltasche (links, blau) ist ein weißes Pferd aufgedruckt (hier nicht sichtbar). Was soll uns das sagen?

Die griechische Mythologie kennt „Pegasus“ als das geflügelte Pferd, das dem Helden Bellerophon bei seinem Kampf gegen die Chimäre, ein gefürchtetes Ungeheuer, sowie gegen die Amazonen half. Ohne Pegasus hätte der Held es nie geschafft und doch war er nachher so hochnäsig, dass er glaubte, mit Pegasus auf den Berg Olymp reiten zu können, um die Götter zu sehen. Zeus bestrafte ihn für seinen Übermut, indem er eine Bremse sandte, die Pegasus stach, woraufhin Bellerophon zurück auf die Erde abgeworfen wurde und den Rest seines Lebens als erblindeter Krüppel verbringen musste.

Was wir wohl daraus lernen sollen?